Die Saga von Blackmoore

Anderswelt Tagebuch

Als Kind hatte ich sie oft gesehen, die Tore zur Anderswelt. Ich hatte nur zu wenig Mut, sie zu betreten. Jedes Mal konnte ich jedoch einen Blick erhaschen und später von diesem Ort träumen. Manchmal war es nur ein gelber Fliegenpilz und manchmal eine ganze Moorlandschaft oder sogar eine Kreatur.

Irgendwann verschwanden die Tore nach und nach. Doch eines Tages, als ich einem Frosch nachjagte, lockte dieser mich immer tiefer in eine vergessene Welt. Ich merkte zu spät, dass ich die Schwelle überschritten und das Tor zur Anderswelt schon lange hinter mir gelassen hatte.

Die Farben waren kräftiger, alles war ruhiger und natürlicher. Ich sah mich um und genoss diese fremde Welt. So stand ich da mit grossen Augen. Ich hatte keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen war, bis mir in den Sinn kam, dass man nicht zu lange in der Anderswelt verweilen und vor allem nichts von dort essen durfte. Diese beiden Grundregeln kannte ich aus Keltischen Märchen. Verletzte man eine dieser beiden Regeln, konnte es gut sein, dass man nicht mehr aus der Anderswelt zurückkehren konnte.

Ich glaube, dass ich irgendwann einmal für immer dort bleiben werde. Doch zurzeit kehre ich zurück und berichte Euch von dieser Welt in meinem Anderswelt-Tagebuch Blackmoore.

 

Wenn ich die Pforte der Anderswelt überschreite, werde ich zu Thorin Eirikson. Eirikson nennt man mich, weil ich in einer Gewitternacht urplötzlich vor Eirik auftauchte. So begegnete ich das erste Mal einem Menschen in der Anderswelt und war etwa gleich erschrocken wir er. Eirik nahm mich mit in sein bescheidenes Heim und zog mich auf.

Es war eine hölzerne Fischerhütte in den Speerfjorden und ich musste mich zuerst an den dichten Rauch im Innern gewöhnen. Beim Eingang standen zwei Skulpturen von Freja und Odin, welche über den ganzen Raum wachten. In der Mitte stand ein langer Tisch mit einer Feuerstelle an seinem Ende. Das orange schimmernde Feuer liess mich auch die Liegefläche an der Wand erkennen. Mit klappernden Zähnen sehnte ich mich nach den Rentierfellen, die darauf ausgelegt waren.

Eirik trocknete meine langen Haare mit einem gewobenen Leinentuch und wickelte mich in das wärmende Fell. Da entdeckte ich zwei blaue Augen wie die meinen, die hinter der Odin Statue hervorschielten. Ich wich zwei Schritte zurück und klammerte mich an eine Bank. Aus dem Schatten trat ein kleiner Junge mit einem Holzschwert, der mich nicht aus den Augen liess. Eirik erklärte mir: „Fürchte dich nicht, das ist Norwin, der Jüngste der Familie.“ Hinter ihm tauchten noch zwei weitere Gestalten auf. Stolz sagte die jüngere, dass sie Andreja heisse und den Hasen in der schweren Eisenpfanne selber gekocht habe. Ich fand schnell heraus, dass die dritte Gestalt die Mutter der beiden war.

Als wir am Tisch sassen und mich der kleine Norwin anknurrte, weil ich das grössere Stück Fleisch bekam, schenkte ich ihm meinen Anteil. Seither sind wir beste Freunde. Ich sollte eigentlich nichts essen, weil dies in der Anderswelt schwerwiegende Folgen haben konnte. Doch mein knurrender Magen brachte mich dazu, das Risiko einzugehen. Später am Tisch erzählte Andreja, dass sie bald verheiratet werde und ihre eigene Holzhütte bekäme.

Sie nannten mich Thorin, weil ich nicht erklären konnte, woher ich kam und wie ich hierher gekommen war. Deshalb musste ich von Thor in einer Gewitternacht hierher geschickt worden sein.

 

Ich nutze die Gelegenheit, in der Anderswelt möglichst viel zu lernen. Ich wollte alles wissen über die kleine Welt in der Fischersiedlung am Speerfjord. Ich lernte von Andreja, wie man spinnt und die Wolle zu Kleidern verarbeitet. Von Eirik lernte ich das Schmieden und Fällen von Bäumen. Von Mutter lernte ich, wie man kochte und der kleine Norwin brachte mir das Kämpfen bei. Er war immer überglücklich, wenn er das Wettschiessen mit dem Pfeilbogen gegen mich gewann.

 

Ich freundete mich schnell auch mit den anderen Jungs an und wir nannten uns Brüder vom Fjord. Da waren Birk, Ragnarson, Drystan, Balgruf, Norwin und ich. Am Anfang schlichen wir in die Vorratskammer und klauten Honig. Dann erschreckten wir die Fischer, die in ihre Arbeit vertieft waren. Später brauten wir unseren ersten Met oder veranstalteten Wettkämpfe. Hauptsache wir machten etwas zusammen.

 

Eines Tages schlichen wir gemeinsam durch die Wälder, um unsere erste Wildsau zu erlegen, was uns auch gelang. Doch dann mussten wir sie zu sechst tragen, so schwer war das Riesenbiest. Wir brauchten lange, bis wir den Hügel erklommen hatten, hinter dem unser Dörflein lag.

Als wir oben angekommen waren, trauten wir unseren müden Augen nicht. Unser Dorf lag in Schutt und Asche. Nur noch schwarze Gerippe, aus denen Rauchsäulen aufstiegen, verrieten, dass hier mal ein Dorf gewesen sein musste.

Nun waren wir erwachen. Nicht weil wir unsere erste Wildsau erlegt hatten, sondern weil von unseren Eltern jede Spur fehlte. Wahrscheinlich wurden sie als Sklaven verschleppt. Wir hatten schon einige Male von den Reitertruppen gehört, die aus dem Osten kamen, alles niederbrannten und die Menschen versklavten.

Wir sammelten alle noch brauchbaren Gegenstände zusammen und schleppten sie auf ein Fischerboot, das hinter der nächsten Bucht versteckt war. Unser nächstes Ziel war unser Onkel, den wir um Hilfe bitten und ihn vor den fremden Reitern warnen wollten.

Wir alle konnten segeln. Schon als kleiner Junge stand ich im Bug und genoss es, wie die salzige Gischt hochspritzte und der rauhe Wind an meinen Haaren zerrte. Doch mit so einem Unwetter wie es an jenem Tag aufzog, hatte noch keiner gekämpft. Wir mussten die Götter verärgert haben! Es schien als kämpfe Gymir gegen Thor und das sieben Tage lang. Am siebten Tag sahen wir entfernt ein Licht und hielten mit letzter Kraft darauf zu. Doch unser Boot zerschellte an den plötzlich auftauchenden Klippen wie eine Nussschale.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in der Burg Blackmoore. Burg war damals schon übertrieben, denn es war mehr eine Ruine, aber sie schützte vor Wind und Wetter. Ich erfuhr bald, dass es meinen Reisegefährten gut ging und auch sie am Strand von Blackmoore von Eymilis, der Tochter des Königs, aufgelesen worden waren. Ihr verdankten wir, dass wir noch lebten. Sie war mit einer Laterne ausgeschickt worden, um den verirrten Schiffen den Weg zu weisen. (Eiriksons Ankunft)

 

Inzwischen bin ich, Thorin Eirikson, „König“ von Blackmoore. König ist wohl ein bisschen übertrieben, da in unserem Land kein grosser Reichtum herrscht und wir mehr wie Bauern leben. Ich hause in einer Ruine, die einst eine stolze Burg war. Ein langer Krieg mit römischen Armeen lies das Königreich Blackmoore auf eine Handvoll Geschöpfe schrumpfen. Nun, da der letzte männliche Nachkomme Blackmoores gestorben ist, gebührt mir die Aufgabe, mich um die Ländereien und die Bevölkerung zu sorgen. Ich versuche, ein gerechter König zu sein und will Blackmoore seinen strahlenden Glanz wiedergeben, so wie es einst vor dem grossen Krieg war. Eigentlich wollte ich ein gewöhnlicher Schiffsbauer werden anstatt König, doch das Schicksal ist unausweichlich!

 

Zum Glück hilft mir Norwin Eirikson, mein grosser kleiner Bruder. Ohne ihn wäre ich mit den Aufgaben eines Königs überfordert. Er steht mir bei und bringt mich wieder zum Lachen, wenn ich mit meinen Pflichten überfordert bin. Auf seinen Raubzügen hat er einiges an Ausrüstung zusammen getragen. Damit konnten wir gemeinsam die Armee von Blackmoore ausrüsten und das Kämpfen lehren (Schwertkampf). Bei einem Glas Met sprechen wir oft davon, wie es dazu gekommen ist.

 

Eymilis ist der einzige Nachkömmling des Blackmoore Geschlechts und wäre Prinzessin. Was jedoch sollte eine Prinzessin ohne Volk? Also verrichtet sie die gewöhnlichen Hausarbeiten wie ihre Magd auch. Die Magd Ejvelyn und die Prinzessin Eymilis sind wunderbare Köche. Sie zaubern süsse Speisen aus Rüben und füllen das Schloss jeden Morgen mit dem Geruch von frischen Brotfladen. Auch sonst sind sie überhaupt nicht zimperlich und liefern sich ab und zu einen Schwertkampf oder reiten auf ihren Pferden um die Wette. Eymilis hilft sogar bei der langweiligen Arbeit des Spinnens, damit Ejvelyn mehr Zeit hat, um mit ihr den Hof unsicher zu machen. (Die spinnen, die Weiber)

Eymilis wurde schon als Kind versprochen, damit Blackmoore sich den Frieden mit dem Norden sichern konnte. Doch sie überzeugte ihren Vater zu dessen Lebzeiten, sie noch ein bisschen im Schloss zu behalten.

 

In dieser Zeit verdienten wir unser Essen mit harter Arbeit.

Norwin Eirikson und Thorburn Ragnarson bewirtschaften einen Bauernhof. Thorburn war ebenfalls mit uns auf dem Schiff gewesen. Ich bin froh, dass auch er die Bruchlandung überlebt hat, denn er wurde mein loyalster Krieger und steht immer an meiner Seite. Wir haben schon ein paar Mal den Metvorrat der Mönche geplündert und die ganze Nacht gezecht. Thorburn knurrt jeden an, der sich mit mir anlegen will. Ich hole ihn als Entgegnung aus dem Schweinegatter, wenn er beim Pissen hineingefallen ist.

 

Die Schweine bringen wir zu Balgruf Wulfson. Er ist der Metzger und ebenfalls aus unserem Dorf. Er wurde nicht Metzger, weil es ihm besonders gut gefällt, sondern weil er immer Lust auf Fleisch hat. Bewaffnet mit Bratpfanne, Axt und einem guten Kraut zum Rauchen, ist er der glücklichste Mensch auf Erden. Aber seine grobe Statur und seine mächtigen Hände täuschen. Denn wenn ihn niemand sieht, schreibt er die schönsten Gedichte und Texte. Er ist wohl der einzige von uns, der richtig lesen und schreiben kann.

 

Auch Birk Dorsteinnson wuchs mit uns auf. Ein streitlustiger Knabe, der sich gerne mit allen anlegt. Wenn es brenzlig wird, zieht er sein Schwert und bleibt standhaft bis kein Gegner mehr zu sehen ist. Und wenn er in seinem Übermut einmal seine eigenen Leute verletzt, verarztet er sie auch wieder. Wir wissen nicht genau, ob er das wirklich kann, aber er behauptet immer, sein Grossvater habe ihm das beigebracht. Er sagt auch, es gäbe Männer, die Röcke tragen. Nicht Waffenröcke, so richtige, bei denen man nichts darunter trage. Und so belustigt er uns mit seinen Geschichten.

 

Und da wäre noch Drystan, der grösste von uns allen. Als wir Kinder waren, hänselten wir ihn oft seiner Locken wegen. Und dann hiess es laufen! Denn wenn er dich in die Finger kriegte, war Schluss mit lustig. Er hatte Bärenkräfte und gewann immer unser Kräftemessen. Man muss ihn nur rufen und er ist immer zur Stelle und hilft, egal worum es geht. Er ist unser Schmied und bringt das Eisen in Form.

 

Das sind meine Waffenbrüder. Und nun stelle ich Euch die Frauen vor, welche am Hofe von Blackmore leben.

 

Narja Brünhildsdottir wurde in einer eisigen Winternacht vor die Tore der Burg gelegt. Der Nordstern leuchtete hell, was als gutes Zeichen gesehen wird und so wurde sie von dem alten König gross gezogen, bis sie alt genug war, auf sich selbst aufzupassen. Ja, sie kann sogar sehr gut auf sich selbst aufpassen. Auch sie ist geübt im Umgang mit Messern und Schwertern. Man munkelt, sie besitze ein Amulett, das unbesiegbar mache.

 

Coileen unterrichtet die Kinder von Blackmoore. Niemand weiss woher sie kommt, doch ihr Wissen bezeugt, dass sie schon weiter herum gekommen ist als wir alle. Sie versteht es auch, die verschiedensten Tränke zu brauen. Sammlungen von fremden Gegenständen und Zeichnungen von aufgeschnittenen Menschen nennt sie ihr Eigen. An ihrem plötzlichen Auftauchen und wieder Verschwinden könnte man meinen, sie besässe eine Tarnkappe.

 

Svantje Ragnarsdottier, die Gefährtin meines Bruders und die Schwester von Thorburn Ragnarson haben wir als Einzige aus den Flammen unseres Dorfes retten können. Sie versteckte sich in einer Vorratskammer unter der Erde. Sie hat die Begabung, Streit zu schlichten und mit anzupacken, wenn es darauf ankommt, genau wie ihr Bruder.

 

Ab und zu streift auch Raven Blake (Raven Blake) durch die Wälder Blackmoores. Sie ist eine Waldläuferin und versteht es, mit dem Bogen umzugehen. Ich habe schon beobachtet, wie sie mit Vögeln spricht. Vielleicht besitzt sie die alte Gabe. Sie benutzt auch einen Hasen als Boten, dem sie Nachrichten auf dem Rücken befestigt. Ich beobachte sie gerne, wenn sie sich mal zeigen lässt. Ihr Anblick zieht mich in einen Bann.

 

In den östlichen Wäldern Blackmoores gibt es eine Gruppierung, die sich das freie Volk von Dichtenwald nennt. Das gemeine Volk schimpft sie jedoch Geächtete, Wegelagerer und Meuchelmörder. In Wahrheit sind es Kinder und Frauen, die durch den Krieg vertrieben wurden und Schutz in den Wäldern suchen. Ihr Zuhause wurde abgebrannt, ihr Vieh geraubt und ihre Brüder und Mannen getötet. Sie kleiden sich in traditionellem Grün und Schwarz von Dichtenwald. Ihr Geld verdienen sie mit dem Verkauf von gejagtem Wild und Belagerungen von Brücken, welche es in dieser Gegend haufenweise gibt, da das ganze Tal von Bächen durchzogen ist. Einige des freien Volkes haben sich auch auf das Töten mit Wurfmessern spezialisiert. Vermummt schleichen sie katzenähnlich durch die Wälder und plündern Bauern sowie Soldaten.

Eine von ihnen ist Freya Cajasdottir. Sie legte sich wieder einmal auf die Lauer unter eine Brücke, als diese gerade von Birk und Norwin überquert wurde. Sie zögerte, denn es waren zwei Krieger, doch sie würden auch eine gute Beute abliefern. Schon alleine die Schwerter waren Gold wert. Sie wartete, bis die beiden vorüber waren. Dann kletterte sie lautlos durch einen fehlenden Steg auf die Brücke. Sie wollte den beiden ihr Geld bei lebendigem Leibe abknüpfen, denn sie liebte Herausforderungen. Also rief sie ihnen zu. In diesem Augenblick sah sie eine Weitere vom freien Volk hinter einem Baum, die ihr die Beute streitig machen wollte. Sie warf ihr Messer, um diese zu vertreiben und zog rasch zwei weitere, um gegen die beiden Krieger zu kämpfen. Schnell merkte sie, dass sie sich zuviel zugemutet hatte. Doch sie kämpfte tapfer weiter, bis Birk ihr das Angebot machte, dem Gefolge des Königs Thorin beizutreten.

Norwin behauptet noch heute, Birk habe nur gefragt, weil ihm der Kampf zu lange gedauert hatte und er endlich in die Methalle wollte, um ein Horn zu trinken.

 

Das Reich von Blackmoore hat auch viele fleissige Bauern. Eine Bauernfamilie will ich genauer vorstellen, denn mein Gefühl sagt mir, dass ihre Tochter einmal Grosses leisten wird.

 

Andreja Eirikdottir ist eine begabte Näherin. Wir bringen oft die zerrissenen Kleider zu ihr oder die gesponnene Wolle, damit sie uns Kleider flickt oder näht. Auch wird man immer gut bewirtet, wenn man an ihre Tür klopft. Sie wohnt zusammen mit Tjorve in einem kleinen Bauernhof. In der Scheune ihres Bauernhofes erfindet Tjorve immer neue Gerätschaften. Er hat mir einmal gesagt, irgendwann erfinde er einen Pflug, der ohne Ochsen oder Rösser pflügen werde. Ich habe nur gelacht. Aber manchmal, wenn ich ihn werken sehe, denke ich, er hat es ernst gemeint. Sie sind die glücklichen Eltern von Finnia (Bauerntochter Finnia), die mit ihrem Lachen auch an regnerischen Tagen Blackmoore erhellt. Und wenn sie einmal weint, streiten wir uns darum, wer sie auf den Arm nehmen und ihr die Geschichte von den drei Schwänen im Herbst erzählen darf. (Drei Schwäne im Herbst)

 

Zurück zu unserer Geschichte.

Als Aufgenommene am Hofe Blackmoore haben wir unser Können unter Beweis gestellt. Wir haben gegen Eindringlinge gekämpft, einen Troll (Bohdan der Troll) besiegt und mit anderen Stämmen gehandelt. Wir haben sogar einen Drachen (Drachenring) besiegt, um die Gunst des Königs zu wecken. So kam es auch, dass der ehrenhafte König von Blackmoore an seinem Sterbebett mir die Krone übergab mit den Worten: „Bringe Licht in unser dunkles Zeitalter, mein Sohn.“

Wir gedenken jedes Jahr mit einem Fackelzug des alten Königs, damit er uns in den goldenen Hallen nicht vergisst und über uns wacht. (Nachtwanderung)